Argument 9

Beispiel Autoindustrie: Wie kann die Transformation einer Schlüsselbranche gelingen?

Die deutsche Automobilindustrie steht inmitten einer umfassenden Transformation. Gleichzeitig spielt sie eine wichtige Rolle in der deutschen Volkswirtschaft, weshalb die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Förderung neuer Wertschöpfungsmöglichkeiten von großer Bedeutung sind. Wie kann der Umstieg auf klimafreundliche Antriebe bis hin zu mobilen Dienstleistungen gelingen, ohne Wohlstandsverluste und große soziale Verwerfungen in den Autoregionen herbeizuführen?

Die deutsche Automobilindustrie sieht sich einem umfassenden Transformationsdruck ausgesetzt. Die Klimakrise erfordert einen Umstieg auf umweltfreundliche Antriebe und Kraftstoffe. Ab dem Jahr 2035 werden in der Europäischen Union nur noch Neuwagen zugelassen, die im Betrieb CO₂-neutral sind. Darüber hinaus stehen die Lieferketten der Branche unter erheblichem Stress. Die Veränderungen des chinesischen Marktes verstärken den Transformationsdruck. So sind deutsche Hersteller einer wachsenden Konkurrenz durch chinesische Automobilunternehmen ausgesetzt, die den Wechsel zum Elektroantrieb bereits vollzogen haben. Der chinesische Autohersteller BYD hat Volkswagen bereits als Marktführer in China abgelöst. Auch als Exporteur verzeichnet die chinesische Autoindustrie ein rasantes Wachstum und hat Deutschland im Jahr 2022 als weltweit zweitgrößten Autoexporteur überholt. Konzerne wie zum Beispiel VW arbeiten daran, nicht länger nur Autos herzustellen, sondern insgesamt zum Anbieter für Mobilität zu werden.

Ganze Regionen abhängig

In Deutschland spielt die Automobilindustrie nach wie vor eine herausragende volkswirtschaftliche Rolle. Mit einem Umsatz von 411 Milliarden Euro und etwa 780.000 Beschäftigten allein im Fahrzeugbau trägt sie rund 10 Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland bei. Rechnet man die vor- und nachgelagerten Bereiche hinzu, hängen in Deutschland sogar rund 1,5 Millionen Jobs an der Branche. Ganze Regionen, wie beispielsweise Baden-Württemberg mit Unternehmen wie Mercedes-Benz, Porsche, Bosch und hunderten mittelständischen Zulieferern, sind stark von ihr abhängig.¹

Elektromobilität braucht weniger Arbeitskräfte

Die Transformation hin zur Elektromobilität wird voraussichtlich zu einem Abbau von Arbeitsplätzen in der Automobilbranche führen, da die Produktion von elektrischen Fahrzeugen weniger Arbeitskräfte erfordert als die Herstellung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Zudem werden andere Kompetenzen der Mitarbeiterschaft benötigt. Um die Zukunft der Beschäftigten zu sichern, müssen deshalb verstärkt Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein Beispiel dafür ist die Arbeitgeberinitiative „Qualifizierung Automotive“.² 

Batterieproduktion als strategische Förderung

Daneben muss die Industrie durch eine aktive Industriepolitik dabei unterstützt werden, neue Wertschöpfung zu generieren, insbesondere im Bereich der Batterietechnologie. Die Batteriefertigung trägt zu 40 Prozent zur Wertschöpfung im Bereich der Elektroautos bei. Daher ist die strategische Ansiedlung und Förderung von Batteriezellproduktion, -demontage und -recycling von entscheidender Bedeutung. Mit 1,5 Milliarden Euro unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Projekte zur Batteriezellforschung und -fertigung.³  Deutschland könne in der nächsten Dekade europaweit zum wichtigsten Standort für die Batteriezellproduktion werden, ist in einer Studie der Agora Verkehrswende zu lesen. Dabei ließe sich das Ziel der Klimaneutralität zu einem Wettbewerbsvorteil des Standorts Deutschland entwickeln, so die Studie.⁴ So hat sich zum Beispiel das Unternehmen Northvolt in Schleswig-Holstein auf Grund des dort mittlerweile vorhandenen großen Angebots an Windenergie angesiedelt.

Zentrale Herausforderung: Versorgung mit Rohstoffen

Gleichzeitig ist es erforderlich, die Versorgung mit Rohstoffen wie Lithium, Nickel, Kobalt, Seltene Erden sowie an Batteriezellen und Microchips durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern. Der Experten*innenkreis Transformation der Automobilwirtschaft empfiehlt, Rohstoffimporte zu diversifizieren, einheimische Rohstoffe zu erschließen sowie Recyclingraten zu erhöhen und Materialkreisläufe zu schließen.⁵ Im Bereich Batterieforschung arbeitet beispielsweise das Unternehmen IBU-Tec aus Bitterfeld, das neuartige LFP-Batterien mit weniger kritischen Stoffen produziert und seltene Erden recycelt.

Beim Abschluss neuer Rohstoffpartnerschaften, insbesondere im Hinblick auf die für Batterien benötigten Materialien wie Lithium, Nickel, Graphit, Kobalt und Seltene Erden, müssen verbindliche ökologische und soziale Standards entlang der gesamten Lieferkette berücksichtigt werden. Die europäische Automobilindustrie will zudem enger zusammenarbeiten, um global wettbewerbsfähig zu bleiben.⁶ 

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Was jetzt zu tun ist

Damit die Transformation der Automobilindustrie
im 21. Jh. gelingt.

Quellennachweise

  1. Puls, T.; Fritsch, M. (2020): Eine Branche unter Druck. Die Bedeutung der Autoindustrie für Deutschland, IW-Report, Nr. 43
  2. Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft e.V. (2023): AGI Automotive – mit Weiterbildung den Strukturwandel gestalten (aufgerufen 14.05.2023)
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  3. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023): Batterien „Made in Germany“ – ein Beitrag zu nachhaltigem Wachstum und klimafreundlicher Mobilität (aufgerufen 14.05.2023)
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  4. Agora Verkehrswende (2021): Batteriestandort auf Klimakurs (aufgerufen 14.05.2023)
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  5. Expertenkreis Transformation der Automobilwirtschaft (2023): Kurzpapier: Erste Handlungsfelder zur Stärkung der Resilienz automobiler Liefernetzwerke (aufgerufen 14.05.2023)
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  6. Euractiv (2022): Statt zu konkurrieren wollen EU-Autoregionen enger zusammenarbeiten (aufgerufen 14.05.2023)
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