Argument 1

Von Erfolgen und Krisen: Deutschland vor entscheidenden Weichenstellungen

Deutschland hat in der Vergangenheit auf vielen Feldern erfolgreich agiert. Heute befinden wir uns in einer multiplen Krise. Die größten Herausforderungen sind die Klimaerhitzung und das Artensterben. Soziale Ungleichheiten nehmen zu. Um den Nachhaltigkeitszielen gerecht zu werden, ist ein grundlegendes Umdenken notwendig. Wir müssen unseren Wohlstand neu erfinden.

Deutschland hat in der Vergangenheit auf vielen Feldern erfolgreich agiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ist zwischen 1991 und 2021 um 38,8 Prozent gestiegen.¹ Wirtschaftswachstum und Treibhausgas-Emissionen wurden durch die Förderung erneuerbarer Energien und den EU-Emissionshandel zusehends entkoppelt.² Durch den gestiegenen materiellen Wohlstand, aber auch wegen der enormen Fortschritte in Medizin, Hygiene, Ernährung, Wohnen und Arbeitsschutz haben die Menschen in Deutschland noch nie ein so langes Leben erwarten können wie heute.³ Und noch nie gab es seit 1991 so viele Beschäftigte, auch unter den Älteren.⁴

Mehr Geschlechtergerechtigkeit, weniger Diskriminierung

Das Elterngeld für beide Elternteile und der Ausbau von Betreuungsplätzen sind Beiträge für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Gegenüber 2006 hat sich die Zahl der ganztags betreuten Kinder unter 3 Jahren fast verdreifacht, die der 3- bis 5-Jährigen mehr als verdoppelt.⁵ Bürger:innen werden zunehmend durch direktdemokratische Verfahren an Entscheidungen beteiligt. Viele Medien, Unternehmen und Behörden achten heute auf eine diskriminierungssensible Sprache. 

Umweltschutz durch gemeinsames Handeln

Viele Umweltbelastungen sind in den vergangenen Jahren deutlichzurückgegangen. Höhere Standards und bessere Filter haben die Schadstoffbelastung der Luft seit 2005 um 34,8 Prozent reduziert.⁶ Das Montrealer Protokoll aus dem Jahre 1987, das seit 2009 von allen UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert worden ist, hat gezeigt, dass globaler Umweltschutz durch ein gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft möglich ist. Seit der Ratifizierung des Abkommens durch 197 Staaten ist die Produktionsmenge an Ozon abbauenden Stoffen um 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1987 gesunken. Die Ozonlöcher über den Polen haben sich wieder geschlossen. 

Temperaturanstieg, Artensterben: unsere existentiellen Herausforderungen

Diese Fortschritte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir vor nie dagewesenen Herausforderungen stehen. Existenzielle Krisen sind zweifellos die Klimaerhitzung und das Artensterben. Das Fenster zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs schließt sich. Das 1,5-Grad-Ziel gilt als Limit, ab dem Kipppunkte des Weltklimasystems erreicht werden. Der Weltklimarat IPCC mahnt, dass die globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 2010 halbiert werden müssten, um diese Grenze zu halten. Aktuell hat sich die Erde bereits um rund 1,2 Grad erwärmt – mit katastrophalen Folgen. Eine aktuelle Studie hält eisfreie arktische Sommer selbst bei sinkenden CO₂-Emissionen bereits ab den 2030er Jahren für möglich.⁷

Gleichzeitig steigen die weltweiten CO₂-Emissionen weiter an.⁸ Bis 2030 werde Deutschland die gesetzlich festgelegte Emissionsobergrenze um mehr als 1.000 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verfehlen, „also um mehr als die derzeitigen Emissionen eines ganzen Jahres“, heißt es im Klimaschutzbericht 2022.⁹

Die zweite existenzielle Bedrohung ist das Artensterben. Hauptursachen in Deutschland sind der fortschreitende Verlust von natürlichen Lebensräumen und Nahrungsangeboten. Der Flächenverbrauch ist enorm: Allein zwischen 2000 und 2020 gingen Freiflächen von der doppelten Größe des Saarlands (6.257 Quadratkilometer) verloren.¹⁰

 

Sozial gerechter Umbau der Wirtschaft

Beide Krisen erfordern einen grundlegenden Umbau hin zu einer nachhaltigen und dekarbonisierten Wirtschaft. Auch um den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN gerecht zu werden. Der Umbau muss sozial gerecht gestaltet werden. Armutsrisiko und Ungleichheit bei den Vermögen in Deutschland sind zu hoch: Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen mehr als die Hälfte des Vermögens, das ärmste Zehntel besitzt nur 1,3 Prozent.¹¹ Damit gehört Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern mit der größten Unsicherheit.¹² Auch global soll ein Wirtschaften mit Zukunft zu mehr Gerechtigkeit beitragen. Das gelingt am besten, wenn ökonomisch, ökologisch und demokratisch zugleich gedacht wird.

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 Infrastrukturen sind unsere Zukunft. 

Quellennachweise

  1. Statistisches Bundesamt (14. Januar 2022): Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2021 um 2,7% gestiegen, Deutsche Wirtschaft erholt sich trotz andauernder Pandemie und Lieferengpässen (aufgerufen am 12.04.23)
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  2. Statista (April 2022): Treibhausgasintensität des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland von 1990 bis 2020 (in Tonnen CO2-Äquivalenten pro BIP-Einheit) (aufgerufen am 12.04.23)
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  3. Statistisches Bundesamt (2023): Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland (aufgerufen am 12.04.23)
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  4. Statista (2022): Anzahl der Erwerbstätigen in Deutschland nach dem Inländerkonzept von 1991 bis 2022 (aufgerufen am 12.04.23)
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  5. Statistisches Bundesamt (2023): Indikatoren der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (aufgerufen am 12.04.23)
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  6. Statistisches Bundesamt (2023): Indikatoren der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (aufgerufen am 12.04.23)
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  7. Nature Communication (2023): Observationally-constrained projections of an ice-free Arctic even under a low emission scenario
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  8. Friedlingstein, Pierre et al. (2022): Global Carbon Budget 2022 (aufgerufen am 12.04.23)
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  9. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Klimaschutzbericht 2022 der Bundesregierung nach § 10 Absatz 1 des Bundesklimaschutzgesetzes (aufgerufen am 12.04.23)
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  10. Statistisches Bundesamt (2023): Indikatoren der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (aufgerufen am 12.04.23)
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  11. DIW Berlin (2019): Vermögensungleichheit in Deutschland bleibt trotz deutlich steigender Nettovermögen anhaltend hoch (aufgerufen am 12.04.23)
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  12. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (2023): Immobilienbesitz schafft Vermögen (aufgerufen am 12.04.23)
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