Argument 10

Beispiel Stahlindustrie:
Wie kann die Transformation der sehr energieintensiven Stahlproduktion gelingen?

Für eine klimaneutrale Stahlproduktion werden neue Produktionsverfahren auf Basis von grünem Wasserstoff entwickelt. Investitionen in Milliardenhöhe sind hierfür erforderlich. Grüner Stahl ist deshalb vorerst teurer als konventioneller Stahl und muss sich dennoch im globalen Wettbewerb behaupten. Welche Unterstützung braucht die grüne Stahlproduktion für eine gesicherte Marktperspektive?

 

Die Produktion von Stahl benötigt sehr viel Energie. Sie ist für fast ein Drittel der industriellen CO₂-Emissionen in Deutschland verantwortlich.¹ Bis 2045 soll die Stahlproduktion klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der konventionelle Hochofenprozess durch neue Verfahren abgelöst werden. Bisher wird Roheisen aus Eisenerz im Hochofen unter Einsatz von Kohle gewonnen. Bei diesem Prozess wird sehr viel CO freigesetzt. Mit Hilfe von Wasserstoff soll die Stahlindustrie dekarbonisiert werden. Damit das möglich ist, müssen die Produktionsverfahren umgestellt werden. Direktreduktionsanlagen sollen die Hochöfen schrittweise ersetzen. Bei diesem neuen Verfahren entsteht kein flüssiges Roheisen mehr, sondern ein fester Eisenschwamm, der im Elektrolichtbogenofen zu Rohstahl geschmolzen wird. Dabei entsteht Wasserdampf anstelle von CO₂. Das Verfahren befindet sich allerdings noch in der Entwicklung. Zudem ist bei weitem noch nicht ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar. Dies könne sich aber bald ändern, so eine Studie im Auftrag des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands.² Die Umstellung der Stahlindustrie auf Direktreduktionsanlagen könne den Ausbau der Wasserstoffproduktion sogar deutlich beschleunigen, prognostiziert die Studie.

Grüner Stahl braucht umfangreiche Investitionen

In jedem Fall sind Milliardeninvestitionen nötig, um die Stahlindustrie zukunftssicher zu machen. Und diese sind zum Teil bereits auf dem Weg. So kündigte der saarländische Stahlkonzern SHS ein umfangreiches Investitionsprogramm an, um seine Produktion auf klimaneutralen Stahl umzustellen. In einer ersten Phase werde der Konzern 2,8 Milliarden Euro investieren, sagte Vorstandschef Karl-Ulrich Köhler dem Handelsblatt. Durch diese ersten Investitionen solle der CO-Ausstoß bis zum Jahr 2030 bereits um 65 Prozent sinken.³ Auch thyssenkrupp Steel investiert massiv und baut in Duisburg eine wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlage. 2026 soll die Anlage in Betrieb gehen – unter der Voraussetzung, dass Förderzusagen eingehalten werden und die EU diesen Förderungen zustimmt. 3,5 Millionen Tonnen CO soll die Anlage künftig jedes Jahr einsparen. 

Parallel wird an Übergangstechnogien gearbeitet, um die CO-Emissionen der Stahlindustrie kurzfristig zu senken. So wird im Hochofen 9 am Standort Duisburg erprobt, wie in einem Hochofen bei einem Teil des Produktionsprozesses Wasserstoff statt Kohle eingesetzt werden kann.⁴ Ein weiterer Ansatz ist die Nutzung von Hüttengasen als Rohstoff. Bereits seit 2016 forscht das Projekt „Carbon2Chem“ an Verfahren, die die Abgase der Hochöfen in Vorprodukte für Kraftstoffe, Kunststoffe oder Dünger umwandeln.⁵ 

Grüner Stahl braucht Marktperspektiven

Grüner Stahl ist zunächst teurer in der Produktion und steht zumindest in einer Übergangsphase im Wettbewerb mit konventionell produziertem Stahl aus dem In- und Ausland. Zudem ist der globale Stahlmarkt von Überkapazitäten und Einfuhrbeschränkungen geprägt.⁶ Die zentrale Fragestellung lautet deshalb, wie eine Marktperspektive für grünen Stahl geschaffen werden kann. Klar ist: Ohne politische Unterstützung zusätzlich zur CO-Bepreisung kann das nicht gelingen. Agora-Energiewende schlägt Klimaschutzverträge als Förderinstrument vor. Den Finanzbedarf hierfür beziffert Agora-Energiewende bis 2030 auf 13 bis 35 Milliarden Euro.⁷ Daneben müssten grüne Leitmärkte aufgebaut werden, die grünen Stahl als Standard etablieren und Mehrkosten auffangen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl unterstützt diese Vorschläge und fordert verbindliche Anreize und Regeln, etwa bei der öffentlichen Beschaffung, aber auch Mindeststandards, die schrittweise erhöht werden, damit sich eine Nachfrage entwickeln kann.⁸ 

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Mit Stahl in die Zukunft

Wege zum CO₂-freien Stahl.

Quellennachweise

  1. Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) (2023):
    Stahlindustrie – Auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie
    (aufgerufen am 23.10.2023)
    → Zur Quelle
  2. Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH (2022):
    Metastudie: Emissionsfreie Stahlerzeugung
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
  3. Handelsblatt (13.06.2022):
    „Gleicher Stahl, aber CO₂-neutral“: Saar-Stahlwerke verabschieden sich vom Hochofen
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
  4. Projektträger Jülich | Forschungszentrum Jülich GmbH (2023):
    Projekt H2Stahl – Hochofen nutzt Wasserstoff in der industriellen Praxis
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
  5. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023):
    Carbon2Chem
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
  6. Durchführungsverordnung (EU) 2022/664 der Kommission
    (aufgerufen am 23.10.2023)
    → Zur Quelle
  7. Agora Energiewende (2023):
    Klimaschutzverträge für die Industrietransformation: Analyse zur Stahlbranche
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
  8. Wirtschaftsvereinigung Stahl (2013):
    Grüne Leitmärkte und Eckpunkte einer Grünstahl-Definition
    (aufgerufen am 16.06.2023)
    → Zur Quelle
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