Argument 11
Beispiel Landwirtschaft: Wie kann unsere Ernährung nachhaltig gesichert werden?
Die Landwirtschaft ist durch den Einsatz von moderner Technik und Chemie immer effizienter geworden. Aber diese hocheffiziente Landwirtschaft steht in der Kritik: Sie belastet die Böden, das Wasser, die Tier- und Pflanzenwelt und das Klima. Und immer weniger bäuerliche Betriebe können von ihrer Arbeit leben. Deshalb muss die Landwirtschaft umgebaut werden. Aber wie kann unsere Ernährung bei gleichzeitiger Extensivierung gesichert werden?
Die Produktion von Lebensmitteln benötigt landwirtschaftliche Fläche. Aber nur auf einem Viertel der Landwirtschaftsfläche werden in Deutschland pflanzliche Nahrungsmittel für den menschlichen Verzehr angebaut. Über die Hälfte der Flächen wird gebraucht, um Futtermittel für Rinder, Schweine und Geflügel anzubauen. Auf den restlichen Flächen wachsen Energiepflanzen zur Gewinnung von Biosprit und Biogas.¹ Die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland schrumpft zudem. Jeden Tag werden 52 Hektar Freifläche in Siedlungs- oder Verkehrsfläche umgewandelt.² Global hat sich die Ackerfläche pro Kopf in den letzten 60 Jahren sogar halbiert.³ Ein wichtiger Grund ist das Wachstum der Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum von drei auf über sieben Milliarden Menschen.
Intensivierung setzt nicht nur Artenvielfalt unter Druck
Die Landwirtschaft hat auf diese Entwicklungen mit einer immer stärkeren Intensivierung reagiert. Die Erträge pro Hektar wurden immer mehr gesteigert. Die intensive Landwirtschaft mit ihrem großen Einsatz von Pestiziden und mineralischem Dünger hat zu ausgeräumten Landschaften und zur Vernichtung von Habitaten geführt. Die Artenvielfalt steht massiv unter Druck. Die Biomasse an Insekten ging innerhalb von 27 Jahren um 75 Prozent zurück.⁴ Auch das Klima wird durch die Landwirtschaft stark belastet: Pro Jahr emittieren wir mit unserer Ernährung im Schnitt jährlich 1,76 Tonnen Treibhausgase – das ist in mehr, als wir für unsere Mobilität ausstoßen (1,6 Tonnen, ohne Flugreisen).⁵ Zweidrittel der Treibhausgase entfallen auf den Konsum von Fleisch, Wurst und Milchprodukten.
Gemeinsame EU-Agrarpolitik ökologischer ausrichten
Welche Wege gibt es, unsere Ernährung zu sichern und zugleich umweltverträglicher zu gestalten, zumal die Flächen in Deutschland rein rechnerisch nicht ausreichen, um uns zu versorgen – jedenfalls nicht bei unseren heutigen Ernährungsgewohnheiten?⁶ Wie kommen wir zu den wahren Kosten in der Produktion von Lebensmitteln? Eine wichtige Stellschraube ist die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU). Bislang hat die GAP kaum dazu beigetragen, die Landwirtschaft ökologischer auszurichten. Dies soll sich mit dem 2022 verabschiedeten nationalen GAP-Strategieplan verbessern. So können Landwirte nun Direktzahlungen auf der Grundlage von Ökoregelungen erhalten, etwa für Blühstreifen oder eine extensive Bewirtschaftung. Die Zukunftskommission Landwirtschaft empfahl in einem Strategiepapier zudem, die bisherigen flächengebundenen Direktzahlungen zurückzufahren zugunsten einer stärkeren Honorierung gesellschaftlicher Leistungen, wie Biotopschutz oder Extensivierung.⁷ Erzeuger-Verbrauchergenossenschaften, Regionalwert AGs und Solidarische Landwirtschaft zeigen ebenfalls nachhaltige Wege zu Ernährungssicherheit auf.
Anreize für verantwortungsvollen Konsum schaffen
Daneben werden markwirtschaftliche Anreize diskutiert. Dazu gehören etwa Zertifizierungen sowie Tierwohl- oder Nachhaltigkeitskennzeichnungen. Diese Label sollen Verbraucher*innen für einen verantwortungsvollen Nahrungsmittelkonsum sensibilisieren. Tatsächlich ist der Fleischkonsum in Deutschland seit Jahren rückläufig.⁸ Immer mehr Menschen ernähren sich fleischarm oder -los, manche sogar komplett vegan. Allerdings gehört Deutschland zu den größten Fleischexporteuren weltweit. Um die Klimagasbelastung zu reduzieren, werden außerdem Anreize diskutiert und erprobt, mit denen Böden gezielt zu CO₂-Senken werden sollen, etwa durch die Einführung von Humuszertifikaten.⁹
Mehr zum Argument
Altes Gemüse
Über die Vorzüge von Biosaatgut und bio-ökonomische Ansätze, die zukunftsfähig sind. Mehr dazu: Podcast Böll.Regional „Wirtschaften mit Zukunft“: Saatgut.
Quellennachweise
- Umweltbundesamt (2020): Von der Welt auf den Teller – Kurzstudie zur globalen Umweltinanspruchnahme unseres Lebensmittelkonsums (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Agrar heute (10.06.2021): Flächenverbrauch: Der Landwirtschaft geht der Platz aus (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Statista (2022): Entwicklung der weltweiten Ackerfläche pro Kopf in den Jahren 1961 bis 2020 (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Plos One (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Statista (2021): Durchschnittliche jährliche Treibhausgasbilanz pro Person in Deutschland (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Umweltbundesamt (2020): Von der Welt auf den Teller – Kurzstudie zur globalen Umweltinanspruchnahme unseres Lebensmittelkonsums (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Zukunftskommission Landwirtschaft (2021): Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2023): Fleischverzehr 2022 auf Tiefstand (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle - Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2022): Hilft Carbon Farming das Klima zu schützen? (aufgerufen 20.06.2023)
→ Zur Quelle
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